Skip to main content

Haben Arbeitnehmer in Kolumbien Kündigungsschutz?

23. April 2020

Corona erschüttert den kolumbianischen Arbeitsmarkt. Für stabil gehaltene Arbeitsverhältnisse stehen plötzlich auf der Kippe. Hier ein kurzer Überblick zur Frage, ob es im kolumbianischen Arbeitsrecht einen vergleichbaren Kündigungsschutz gibt, wie man ihn aus Deutschland kennt:

Die Epidemie rollt auf einen angeschlagenen Arbeitsmarkt zu

Im April 2020 stehen viele Wirtschaftszweige in Kolumbien – wie im Rest der Welt – vor massiver Arbeitslosigkeit. Vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Langwierigkeit der Corona-Krise wird flächendeckender Stellenbau nicht zu verhindern sein, vor allem in Sektoren, die mit der „neuen Normalität“ und den „Maßnahmen“ in Corona-Zeiten schwer zu vereinen sind (etwa Gastronomie, Hotels, Reiseunternehmen, Frisöre etc.). Bereits vor der Corona-Krise hatte Kolumbien im Vergleich zu den Vorjahren steigende Arbeitslosenzahlen zu beklagen. Die Statistik-Behörde DANE (Departamento Administrativo Nacional de Estadística) meldete im Januar 2020 eine Arbeitslosenquote von 13 %, eine auch im lateinamerikanischen Vergleich ernüchternde Zahl. Die steigende Arbeitslosigkeit und die Perspektivlosigkeit vieler junger Menschen waren einer der Auslöser der Massenproteste und sozialen Unruhen in der Hauptstadt Bogotá Ende 2019. Die kolumbianische Regierung ist sich dieser Problematik bewusst und hat die drohende Massenarbeitslosigkeit neben dem Kollaps des Gesundheitssystems als größte politische Herausforderung der Gegenwart identifiziert.

Echte Arbeitsverträge vs. Freelancer-Verträge

Grundsätzlich kann man die Mitarbeiter eines kolumbianischen Unternehmens in zwei Gruppen einteilen: Einerseits echte Arbeitnehmer mit einem schriftlichen Arbeitsvertrag (contrato de trabajo), die als Arbeitnehmer sozialversichert sind. Auf der anderen Seite die Gruppe der „Freelancer“ (contratistas), die auf Grundlage eines freien Dienstleistungsvertrags (contrato de prestación de servicios) dem Unternehmen Dienste leisten. Letztere werden rechtlich nach den Grundsätzen der Scheinselbständigkeit (principio de realidad) zu deren Schutz wie Arbeitnehmer behandelt, sofern das Unternehmen diese Mitarbeiter im Arbeitsalltag wie Arbeitnehmer behandelt (Weisungsgebundenheit, feste Arbeitszeiten etc.) – egal, was in deren Verträgen steht. Bei Arbeitnehmern kann man wiederum unterteilen in Arbeitnehmer mit unbefristeten und mit befristeten Arbeitsverträgen.

Bestehen bei befristeten Arbeitsverhältnissen ähnliche Rechte des Arbeitnehmers wie in Deutschland?

Nein, im Gegensatz zur Rechtslage nach dem deutschen Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) kann ein kolumbianischer Arbeitgeber einen befristeten Arbeitsvertrag (contrato a término fijo) grundsätzlich einfach auslaufen lassen, egal wie oft dieser schon verlängert wurde und ob ein Sachgrund für die Befristung vorliegt oder nicht. Einzige Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer 30 Tage vor Ablauf der Befristung schriftlich mitteilt, dass er an einer Verlängerung des Arbeitsverhältnisses kein Interesse hat. Ein Arbeitgeber kann einen befristeten Arbeitsvertrag beliebig oft verlängern, ohne Gefahr zu laufen, dass aus dem befristeten ein unbefristetes Arbeitsverhältnis wird. Anders als in Deutschland gibt es also keine gesetzliche Ächtung von Kettenbefristungen (vgl. §14 Abs. 2 TzBfG). Ausnahme: In bestimmten Situationen (schwangere und stillende Arbeitnehmerinnen, Behinderung, langwierige schwere Krankheit, Sprecher einer Gewerkschaft etc.) haben Arbeitnehmer Sonderkündigungsschutz (estabilidad laboral reforzada). Sonderkündigungsschutz begründet einen Rechtsanspruch auf Verlängerung des befristeten Arbeitsvertrags, es sei denn es liegt ein „wichtiger Grund“ (justa causa) zur Kündigung vor. Ein wichtiger Grund ist ein schwerwiegender Verstoß gegen den Arbeitsvertrag, der im Verhalten des Arbeitnehmers liegt (Art. 62 Código Sustantivo del Trabajo).

Kündigungsschutz bei unbefristeten Arbeitsverträgen?

Nein, auch bei einem unbefristeten Arbeitsvertrag (contrato a término indefinido) ist für einen Arbeitnehmer in Kolumbien die Rechtslage und damit das Arbeitsverhältnis prekärer als bei einem Arbeitnehmer in Deutschland. Nach dem deutschen Kündigungsschutz muss eine ordentliche Kündigung „sozial gerechtfertigt“ sein (jedenfalls bei Betrieben mit in der Regel mehr als zehn Mitarbeitern), d. h., es muss ein gesetzlich anerkannter Kündigungsgrund vorliegen (betriebs-, personen- oder verhaltensbedingt), der auch vor dem Arbeitsgericht standhält. Verliert der deutsche Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess, muss er den Arbeitnehmer grundsätzlich weiter beschäftigen bzw. wiedereinstellen. Hingegen kann ein Arbeitnehmer in Kolumbien prinzipiell nicht auf Weiterbeschäftigung oder Wiedereinstellung klagen, sondern maximal eine Entschädigung (indemnización) verlangen. Dazu muss er vorm Arbeitsgericht darlegen, dass der Arbeitgeber für die Kündigung keinen wichtigen Grund hatte im Sinne von Art. 62 des Arbeitsgesetzbuchs (Código Sustantivo del Trabajo). Eine Ausnahme vom Grundsatz, dass der Arbeitnehmer trotz ungerechtfertigter Kündigung keine Wiedereinstellung verlangen kann, sind wiederum die oben genannten Arbeitnehmer mit Sonderkündigungsschutz. Diese können sich nach der Rechtsprechung des kolumbianischen Verfassungsgerichtshofs gerichtlich wieder in das Arbeitsverhältnis „hinein klagen“, insbesondere wenn der Verdacht einer Diskriminierung im Raum steht.

Die Kündigung ohne wichtigen Grund

Der kolumbianische Arbeitgeber hat also grundsätzlich das Recht, einen Arbeitnehmer zu kündigen (terminación unilateral de contrato de trabajo sin justa causa, siehe Art. 64 Código Sustantivo del Trabajo), ohne einen Grund zu haben oder zu nennen. Hat er keinen „wichtigen Grund“ im Sinne von Art. 62 Código Sustantivo del Trabajo, muss er dem Arbeitgeber eine Entschädigung zahlen. Die Entschädigung beträgt für eine Kündigung im ersten Jahr der Beschäftigung grundsätzlich ein Monatsgehalt, ab dem zweiten Jahr der Beschäftigung zusätzlich ein Gehalt entsprechend 20 Arbeitstagen pro Beschäftigungsjahr. Daraus folgt, dass der Arbeitgeber gerade in den ersten Beschäftigungsjahren eines bestimmten Arbeitnehmers Kündigungen – auch fristlose Kündigungen – aussprechen kann, ohne einschneidende finanzielle Konsequenzen oder unkalkulierbare Risiken vor Gericht befürchten zu müssen. Hingegen erwerben langjährig Beschäftigte einen „de facto Kündigungsschutz“, weil mit zunehmender Höhe der hypothetischen Entschädigung im Falle einer Kündigung die finanzielle Motivation des Arbeitgebers steigen wird, den Arbeitnehmer zu halten und somit die Zahlung der Entschädigung zu vermeiden.

Fazit

Ein Kündigungsschutz im Sinne des deutschen Kündigungsschutzgesetzes ist dem kolumbianischen Arbeitsrecht fremd. Grundlos gekündigte Arbeitnehmer können prinzipiell keine Weiterbeschäftigung einklagen, sondern – wenn überhaupt – nur eine finanzielle Entschädigung verlangen. Ausnahmen gelten insbesondere für Arbeitnehmerinnen im Mutterschaftsschutz und schwer kranke Arbeitnehmer. Man mag den im Vergleich zum deutschen Arbeitsrecht schwach ausgeprägten Kündigungsschutz kritisch sehen. Dabei muss man aber auch bedenken, dass das Hauptproblem des kolumbianischen Arbeitsmarktes die Informalität ist. Ca. die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung in Kolumbien arbeitet informell, d. h. ohne jeglichen Vertrag oder selbständig, ohne Deckung durch die Sozialversicherung. Die Priorität der Politik ist daher die Stärkung des formalen Arbeitsmarktes an sich. Eine Stärkung des Kündigungsschutzes ist im Hinblick auf die Schaffung neuer formeller Arbeitsplätze aus Sicht der Politik also ein zweischneidiges Schwert. In Anbetracht der aktuellen Konjunktur (durch Corona) ist mit einer Reform des Kündigungsschutzes momentan nicht zu rechnen.